Auf der Jagd nach unerkannten Chemikalien im Wasser : Datum: , Thema: online-plattform for-ident
Bisher nicht erkannte Chemikalien in Gewässern können dank der öffentlich zugänglichen Online-Plattform FOR-IDENT schnell und mit einer hohen Trefferquote identifiziert werden. Der Fortbestand der Plattform soll nun langfristig gesichert werden.
Sauberes Wasser ist unverzichtbar für unsere Gesundheit und die Umwelt. Daher ist Trinkwasser das am strengsten kontrollierte Lebensmittel in Deutschland. Wasserversorger müssen sicherstellen, dass sie den Verbrauchern genusstaugliches, reines Wasser liefern, das frei von Krankheitserregern und gefährlichen Stoffen ist. Keine leichte Aufgabe: Tagtäglich gelangt eine Vielzahl von Chemikalien und deren Abbauprodukte über Abwässer aus Haushalten und Industrie oder über landwirtschaftlich genutzte Flächen in den Wasserkreislauf. Das sind unter anderem Industriechemikalien, Pflanzenschutzmittel sowie Kosmetika, Medikamente wie auch Haushaltschemikalien. Schon in geringsten Konzentrationen – hier spricht man von sogenannten Spurenstoffen – können sich diese negativ auf Gewässerorganismen auswirken und stellen damit eine große Herausforderung für die Trinkwasserversorgung dar. Dazu kommen noch natürliche Stoffe wie Huminsäuren, Kohlehydrate oder Aminosäuren. In einer einzigen Wasserprobe lassen sich somit bis zu einigen tausend organischen Molekülen nachweisen. Doch um welche Stoffe handelt es sich dabei genau und sind sie wirklich schädlich für Mensch und Umwelt?
Die Antwort auf diese Fragen ist in den letzten Jahren durch neue Analysestrategien um einiges leichter geworden. Insbesondere Fortschritte in der vorsorgenden Analytik ermöglichen es, auch bislang noch nicht erkannte Substanzen in Gewässern zu identifizieren und zuzuordnen. Hochauflösende Verfahren wie die akkurate Massenspektrometrie können für jedes Molekül in einer Probe die Molekularmasse bestimmen. Diese „molekularen Fingerabdrücke“ werden dann mit einer auf der Plattform befindlichen Referenzdatendatenbank abgeglichen. Sie enthält die wichtigsten physikalisch-chemischen Eigenschaften von wasserlöslichen Stoffen. Auf diese Weise können auch chemische Substanzen in Wasserproben schnell und mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ermittelt werden, die zum Zeitpunkt der Analyse noch nicht im Untersuchungsfokus stehen, aber zu einem späteren Zeitpunkt von Interesse sein könnten. Dies bezeichnet man als qualitative „Non-Target-Screening Analytik“ in Abgrenzung gegenüber zielgerichteten Überwachungsprogrammen, der quantitativen „Target-Analytik“.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das „Non-Target-Screening“ als wichtiges Tool für die vorsorgende Wasseranalytik in den vergangenen Jahren in verschiedenen Projekten gefördert. So steht mittlerweile als Ergebnis des gleichnamigen Verbundprojekts die online Auswerteplattform FOR-IDENT zur Verfügung. Die von einem analytischen Konsortium entwickelte Plattform wurde von der Technischen Universität München sowie der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf im Nachfolgeprojekt „FOR-IDENT Nachhaltigkeit“ weiter ausgebaut. Sie greift auf Bestände von derzeit drei öffentlichen Stoffdatenbanken zu: Die im BMBF-Projekt „RISK-IDENT“ entstandene Stoffdatenbank STOFF-IDENT mit Molekül-Profilen von über 11.000 Substanzen sowie PFC-IDENT und PLANT-IDENT, die speziell der Identifizierung von per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) bzw. pflanzlichen Stoffen dienen. Die bereits international bekannte Plattform FOR-IDENT verknüpft die Datenbanken mit unterschiedlichen Auswertestrategien und ermöglicht so ein schnelleres und genaueres Non-Target-Screening auf länderübergreifender Ebene.
Die Plattform ist frei zugänglich, damit die Auswertetools und Datenbanken von Unternehmen, Behörden und Wissenschaft kostenlos und uneingeschränkt genutzt werden können. „Durch das Open Access Prinzip können die Daten und Strategien ständig ergänzt, angepasst und validiert werden, sodass es immer besser gelingt, bisher unerkannte organische Moleküle im Wasserkreislauf zu identifizieren, sagt PD Dr. Thomas Letzel, der als Projektkoordinator an der Entwicklung von FOR-IDENT mitgewirkt hat.
Mittlerweile wird die Plattform FOR-IDENT von vielen internationalen Laboren im Bereich Non-Target Screening eingesetzt, sodass die Nutzerzahlen stetig wachsen und die Einsatzgebiete vielfältiger werden. Auch im Bereich der Stoffbewertung – etwa im Zusammenhang mit Spurenstoffen – könnte sich FOR-IDENT als nützliches Tool erweisen. Denn die genaue Anzahl solcher Stoffe ist nicht bekannt und wächst ständig, da täglich neue Verbindungen entwickelt werden. Ihre Identifikation und Bewertung gewinnt in der Diskussion um geeignete Gegenmaßnahmen, beispielsweise die Einführung einer weitergehenden Abwasserbehandlung auf Kläranlagen, zunehmend an Bedeutung.
Aktuell wird FOR-IDENT vom Start-up Analytisches Forschungsinstitut für Non-Target Screening GmbH betreut und weiter spezifiziert, um zum Beispiel auch Stoffe mithilfe von unterschiedlichen Analysemethoden, wie der Molekültrennung durch Gaschromatographie, erfassen und identifizieren zu können. Damit die Finanzierung und damit der Fortbestand von FOR-IDENT als öffentliche Plattform auch langfristig gesichert bleibt, soll deren Betreuung auf einen Verein übertragen werden. „Wir führen derzeit Gespräche mit potenziellen Mitgliedern und laden alle Interessierte ein, sich dem Projekt anzuschließen, um die Vision einer international vereinheitlichten vorsorgenden Analytik voranzutreiben“, so Letzel. „Dabei sprechen wir über die Wasser- und Umweltszene hinaus auch Partner in weiteren Anwendungsfeldern des Non-Target Screenings an, etwa die Bereiche Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände. Denn je mehr thematische Stoffdatenbanken und Auswertungsmethoden auf FOR-IDENT vertreten sind, desto nützlicher ist dieses Tool für die Praxis“. Eine mögliche Gründung des Vereins ist für Herbst 2021 nach der „International Conference on Non-Target Screening (ICNTS 21)“ geplant, die im Oktober in Erding bei München stattfindet.