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Daten-Rettungsmission auf hoher See : Datum: , Thema: forschungsschiff sonne

Es wird eine der längsten Expeditionen des deutschen Forschungsschiffs SONNE: Die aktuelle Fahrt unter der Leitung von Niko Lahajnar von der Universität Hamburg führt das Schiff von Emden bis vor die südafrikanische Küste und zurück.

Das Forschungsschiff SONNE bricht mit dem Ziel auf, ozeanografische Verankerungen aus dem Südatlantik zu bergen.
Das Forschungsschiff SONNE bricht mit dem Ziel auf, ozeanografische Verankerungen aus dem Südatlantik zu bergen. © Niko Lahajnar/Universität Hamburg

Die Fahrt wird über zwei Monate dauern – ganze 67 Tage. Da die SONNE für eine solch lange Zeit auf See eigentlich nicht gerüstet ist, wird sie vor dem Hafen von Kapstadt einen kurzen Tank-Stopp einlegen – Bunkern, wie es bei Schiffen heißt. Doch auch bei diesem Zwischenhalt wird aufgrund der strikten Corona-Bestimmungen auf dem Schiff niemand von Bord oder an Bord gehen dürfen. Das Ziel der aufwendigen Fahrt ist es, Langzeitverankerungen aus dem Südatlantik zu bergen.

Langzeitverankerungen sind am Meeresboden befestigte und durch Auftriebsbälle vertikal in der Wassersäule stehende Messsysteme, die je nach Wassertiefe zwischen wenigen Zehnermetern bis hin zu mehreren Kilometern lang sein können. An diesen Systemen sind abhängig von der wissenschaftlichen Fragestellung in unterschiedlichen Wassertiefen biogeochemische Messgeräte und ozeanographische Sensoren angebracht, die idealerweise mindestens ein Jahr kontinuierlich und autonom Proben nehmen und Daten aufzeichnen. Damit wissenschaftlich belastbare Aussagen über eine Meeresregion getroffen werden können, müssen diese Systeme jedoch über mehrere Jahre immer wieder verankert werden, um die Variabilität und auch Langzeitveränderungen erkennen zu können.

Die Meeresforschung in den Zeiten der Coronakrise

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer verbringen vor Fahrtantritt zehn Tage in einem Hotel in Quarantäne. Während dieser Zeit machen sie drei Coronatests – einen Antigen- und zwei PCR Tests – und dürfen nur an Bord gehen, wenn alle Tests ein negatives Ergebnis haben. Wenn dann nach zehn Tagen an Bord keine Symptome aufgetreten sind, wird die SONNE zum coronafreien Schiff erklärt und die Kontaktbeschränkungen fortan aufgehoben.

Diese zu bergenden Systeme wurden letztmalig im Jahr 2019 am Meeresboden verankert, um dort unter anderem Meeresströmungen, Temperatur, Salzgehalt, Sauerstoff und den Partikelfluss des Ozeans aufzuzeichnen. Da die geplanten Forschungsfahrten im Südatlantik mit den Forschungsschiffen METEOR und MARIA S. MERIAN im Jahr 2020 und im Frühjahr 2021 wegen der Corona-Pandemie ausfallen mussten, befinden sich diese Verankerungen noch immer im offenen Südatlantik sowie vor den Küsten Südafrikas, Namibias und Angolas.

„Aufgrund der fehlenden Schiffszeiten drohte ein Totalverlust dieser Verankerungen, da sie nur eine begrenzte Batterielaufzeit haben und danach nicht mehr aktiv geborgen werden könnten“, erklärt der wissenschaftliche Leiter der Fahrt, Niko Lahajnar. „Die Messgeräte selbst hören irgendwann einfach auf zu messen, wenn die Batterien leer sind. Das alleine ist nicht so schlimm“, so der Forscher. „Direkt über dem Anker sind aber immer auch die sogenannten akustischen Auslöser angebracht. Diese Auslöser werden durch ein spezielles Funksignal von Bord aus aktiviert und lösen auf Kommando die Verbindung zum Anker. Das gesamte System treibt danach an die Meeresoberfläche und kann dann vom Schiff aus aufgenommen werden. Wenn die Batterien in diesen Auslösern erschöpft sind, dann können die Systeme nicht mehr geborgen werden und bleiben für immer in den Tiefen der Meere verloren. Damit einhergehend drohte auch der Verlust der aufgezeichneten Daten und gewonnenen Proben der letzten zwei Jahre, die nicht ersetzt werden könnten und damit unwiederbringlich verloren wären. Der Verlust wäre mit Geld gar nicht zu beziffern“, schildert der Geologe und Biogeochemiker die für die betroffenen Forschungsprojekte dramatische Situation. „Um einen Totalverlust von Geräten und Daten zu verhindern, haben sich alle Beteiligten zusammengeschlossen und nehmen insgesamt fast 15.000 Seemeilen, also 27.800 Kilometer, nonstop auf sich.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe haben die Fahrtplanung der SONNE extra angepasst, um diese Mission zu ermöglichen.

Die aufgezeichneten Daten geben unter anderem wichtige Einblicke in das sogenannte Benguela-Auftriebsgebiet vor der südwestafrikanischen Küste. Auftriebsgebiete sind Bereiche im Ozean, in denen kaltes, nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe zur Oberfläche aufsteigt. Diese Nährstoffe aus der Tiefe regen das Algenwachstum an der Oberfläche an, die wiederum die Grundlage für das Nahrungsnetz einschließlich größerer Tiere wie Fische sind. Auftriebsgebiete wie das Benguela-Auftriebsgebiet vor der Küste Südwestafrikas haben aufgrund ihres Fischreichtums auch eine große wirtschaftliche Bedeutung.

Hintergrund zu den Projekten EVAR und BANINO

Das vom BMBF mit rund 2,7 Millionen Euro geförderte Projekt EVAR untersucht die Lebensweise von Bakterien und anderen Mikroorganismen im Meeresboden und im bodennahen Wasser dieses Auftriebsgebietes. Darüber hinaus erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor der Küste Namibias und Südafrikas, welche Bedeutung die Auftriebsgebiete für zukünftige Klimavorhersagen haben: Nimmt das Auftriebsgebiet in Summe CO2 aus der Atmosphäre auf und verringert damit den Treibhauseffekt oder gibt es netto CO2 ab und erhöht somit den Kohlendioxidgehalt und andere klimarelevante Spurengase in der Atmosphäre sogar noch? Diesen Fragen geht das vom BMBF mit rund 1,5 Millionen Euro geförderte Projekt TRAFFIC nach.


Im ebenfalls vom BMBF mit 1,3 Millionen Euro geförderten Projekt BANINO untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Prozesse, die den Küstenauftrieb vor Südwestafrika antreiben, beispielsweise den Wind und die Zirkulation im Ozean.

Sowohl die in EVAR als auch die in BANINO untersuchten Prozesse variieren stark und können daher durch schiffsgestützte kurzzeitige Messungen nicht vollständig abgebildet werden. Daher werden Forschungsfahrten oft durch Langzeitmessungen von verankerten Geräten ergänzt, die sowohl die jahreszeitlichen Veränderungen als auch die Langzeitveränderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel erfassen. Auf Höhe des 23. Breitengrads Süd haben Forscherinnen und Forscher eine Langzeitreihe erstellt, die mittlerweile fast zwei Dekaden umfasst. „Es ist eine der wenigen hydrographischen Langzeitreihen im nördlichen Benguela-Auftriebsgebiet, die bereits auch klimatische Veränderungen abbildet“, so der Ozeanograph Martin Schmidt vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, der ebenfalls an der Fahrt teilnimmt. „Eine Datenlücke in dieser Messreihe würde die Brauchbarkeit für die Klimaforschung erheblich einschränken. Es droht ein Datenverlust zwischen den Jahren 2019 und 2021 oder sogar noch länger, wenn die Systeme jetzt nicht geborgen werden können.“

Lahajnar blickt der Expedition vor die Küste Südwestafrikas voller Spannung entgegen: „Die allererste Frage bei der Bergung von Verankerungen ist immer: Sind sie noch da? Es ist uns in diesem stark genutzten Gebiet schon einmal passiert, dass Fischer mit ihren Schleppnetzen eine Verankerung weggefischt hatten“, so der Forscher. „Die zweite Frage ist dann: Welche Daten haben sie in den vergangenen zwei Jahren aufgezeichnet, welche Proben konnten gewonnen werden?“ Sobald die Messgeräte an Bord geholt werden, übertragen die Forscherinnen und Forscher die Daten, entnehmen die Proben, überprüfen die Sensoren und statten sie mit neuen Batterien aus. „Wenn alles okay ist, stellen wir die Verankerungen schon am nächsten Tag für einen weiteren Messzyklus, meistens für ein halbes oder auch ganzes Jahr, wieder ins Meer“, so der Meeresforscher.

Für Niko Lahajnar ist es seine weiteste und eine seiner längsten Reisen. Eine außergewöhnliche Erfahrung, die die Forscherinnen und Forscher erwartet, ist es, vier Jahreszeiten auf einer Fahrt zu erleben: „Wir starten im Winter in Deutschland, überqueren dann den sommerlichen Äquator und erreichen unser Forschungsgebiet im Herbst auf der Südhalbkugel. Wenn wir dann im Mai nach Deutschland zurückkehren, erwartet uns der Frühling“, so Lahajnar.